Kommunikationskultur
„Musik ist der Wunsch nach einer ekstatischen Beziehung zum Leben.” (Keith Jarret)
Sich am Gelingen eines Chores zu beteiligen ist naturgemäß mit vielen Emotionen verbunden. Da sind hohe Anforderungen an die Kommunikationskultur und die Entscheidungsprozesse gefragt. Wer wählt unsere Lieder aus? Wie verbessern wir die Qualität unserer Auftritte? Wann passen Proben- und Auftritts-Termine in meinen Alltag? Werde ich hier wahrgenommen als Mensch oder nur als Stimmlage? Welche Werte einen oder trennen uns? Welche Selbstverantwortung wird mir zugetraut und wo will ich Verantwortung abgeben? Wo kommen wir aus dem Druck heraus?
Die Erwartungen an die verschiedenen Ebenen eines Chores sind hoch: Dirigent, Leitung, Vorstand, Geschäftsführung, Stimmgruppensprecher:innen. Wer sorgt hier für Wertschätzung und Motivation, für Kompetenzgewinn und Beteiligung, für Zufriedenheit und Weiterentwicklung? Besonders in Situationen, wenn der Chor unter Wachstumsschmerzen leidet, wenn ein Generationenwechsel ansteht, wenn der Professionalisierungsdruck zunimmt, braucht es das ganze „System” eines Chors, das Zielvorstellungen gemeinsam klärt und den Weg bereitet. Das kann in einer Struktur, in der es so stark auf das Zusammenspiel aller Kräfte ankommt, nicht einfach „von oben” entschieden werden.
Beteiligungsinstrument
„Musik und Liebe ist die kürzeste Linie zwischen zwei Punkten.” (Teilnehmende einer Chor-Zukunftswerkstatt)
Seit 2010 verbreitet sich das methodische Beteiligungsinstrument Zukunftswerkstatt auch in Chören. Es besticht damit, in zwei Tagen intensiver Zusammenarbeit Probleme "verflüssigen" zu können, die mitunter seit Monaten die Zukunftsentwicklung ausbremsen. Eine Chor-Zukunftswerkstatt ermöglicht es allen gemeinsam konzentriert an einer breiten Themenpalette zu arbeiten. Geleitet von einem Moderations-Team, das mit offener und allparteilicher Haltung durch die Zukunftswerkstatt lenkt, erzielen fünfundzwanzig, fünfzig oder sogar hundert Menschen zugleich Verständigung und Motivation zu einer Vielzahl von Fragen:
Wie können Vertrauen und Anerkennung gegenüber allen Chormitgliedern und Leitungskräften wachsen? Was hilft, um in offener Kommunikation Vielfalt zu akzeptieren und Win-win-Situationen zu fördern? Wie gestalten wir ausgewogen die Vereinbarkeit zwischen Qualitätsanspruch und persönlichem Zeitaufwand? Wie bringen wir Rollenklarheit und Identifikation voran? Wie gewinnen wir Kraft für gemeinsames Engagement und übereinstimmende Werte? Wohin entwickeln wir ein klar vermittelbares Image zwischen gesellschaftspolitischer Position und musikalischer Konzentration?
3 Phasen auf einem dialogischen Weg
„Wer singt, verscheucht sein Unglück.” (spanisches Sprichwort)
Das Moderationsteam bringt keine fertigen Antworten mit. Es stellt viele Fragen und überrascht mit kreativen und systemischen Arbeitsmethoden, die in immer wieder neu gemischten Arbeitsgruppen vertieft werden.
In der ersten von drei Arbeitsphasen gibt es viel Freiheit Probleme zu benennen und Kritik zu üben, ohne zu verletzen. In der zweiten Phase rücken die Ziele für eine positive, wünschenswerte Zukunft in den Blick – hier wird viel gelacht und kreativ mit Schere, Pinsel und dem ganzen Körper erkundet, wohin sich die Dinge zum Besten entwickeln sollten. Aus Malerei, Collagen, Videokunst, Dada-Lyrik oder Stegreiftheater entwickeln sich nach kurzer Zeit überraschende, „kunstvolle” Lösungsideen zu den „ernsten” Themen.
In der dritten Phase entstehen konkrete Pläne, wer was wie verändern kann und will, und welche greifbaren Schritte praktikabel sind. Erfahrungsgemäß ergibt es sich in der einladenden Atmosphäre immer, dass Teilnehmende Feuer fangen und die neuen Pläne entlastend auf das gesamte Chorgeschehen wirken. Insofern ist die Zukunftswerkstatt kein Projektplanungs-Instrument, sondern ein dialogischer Weg der Verständigung, wie alle gemeinsam Erfolg und Freude im Chor planvoll in die Welt zu setzen können. Gemeinsam verteilen sich am Ende einer Zukunftswerkstatt alle Verantwortlichkeiten auf viele Schultern – auf der Basis von Motivation, Respekt und der Wertschätzung, dass alle Beteiligten fähig sind, Ideen beizutragen. Dass dies gelingt, hat mit dem Selbstverständnis der Moderation zu tun, nicht als externe fachliche Beratung, sondern als methodenkundige Hebamme zu handeln.